Fahrräder überholen verbieten?
Radfahrer sind in Weinheim nicht sicher unterwegs, findet der ADFC und fordert deshalb stellenweise Zweirad-Überholverbot
Weinheimer Nachrichten - von Lena Spilger
Weinheim. Autofahrer ausgepasst: Wer kennt dieses Verbotsschild? Auf weißem Grund mit rotem Kreis sind ein Auto sowie rechts davon ein Fahrrad und Motorrad zu sehen. Ganz neu ist das Schild nicht, aber da es so selten zu finden ist, dürfte den meisten Verkehrsteilnehmern die Bedeutung davon nicht bewusst sein. Das bestätigt auch der Vorsitzende des Weinheimer Automobil-Clubs, Henrik Kühnert: „Das Verkehrszeichen ist recht unbekannt." Das könnte allerdings ins Auge gehen, denn was das Zweirad-Überholverbot angeht, greift die Bußgeldverordnung hart durch: 70 Euro Strafe und zusätzlich einen Punkt.
Da lohnt es sich, die Bedeutung des Schildes zu kennen. Die Strafe sei zwar hart, bei Missachtung aber gerechtfertigt, so Kühnert.
Mehrspurige Kraftfahrzeuge dürfen nach dem Schild einspurige Fahrzeuge, also Fahrräder oder auch Roller, E-Roller und Motorräder, nicht überholen. Das gilt so lange, bis das Schild wieder aufgelöst wird.
Das sieht ganz klassisch aus, dasselbe Symbol in Grau, das von fünf dünnen Linien diagonal durchzogen ist.
Kein Bedarf?
Wer tatsächlich keine Ahnung gehabt hätte, kann zunächst einmal aufatmen, denn das Verkehrszeichen mit der Bezeichnung 277.1 ist weder im Rhein-Neckar-Kreis noch im Kreis Bergstraße zu finden. Laut den Verkehrsbehörden besteht kein Bedarf. Ganz anderer Meinung ist da Frank Weinreich von der ADFC-Ortsgruppe Weinheim. Es gebe mehrere Straßenabschnitte, wo Radfahrer aufgrund der baulichen Gegebenheiten gar nicht regelkon-form überholt werden könnten, aber dennoch überholt würden.
So sei beispielsweise die Mannheimer Straße stadtauswärts eine Problemstelle, obwohl dort ein sogenannter Fahrradschutzstreifen durch eine gestrichelte Linie markiert ist. „Fahrradschutzstreifen sind kein wirklicher Schutz", erklärt Weinreich, weshalb der ADFC kein starker Befürworter dieser Lösung ist. Fahre der Radfahrer auf seinem Streifen, sei dies für Autofahrer häufig eine Einladung, gar nicht über den Sicherheitsabstand nachzudenken, der selbstredend trotzdem geboten sein müsse.
Gerade bei den Schutzstreifen komme es in manchen Fällen zu massiven Verstößen - besonders in der Mannheimer Straße stadtauswärts, wo auch der Autostreifen nicht besonders breit ist. Ein Abstand von 1,5 Metern sei dort überhaupt nicht umzusetzen, weshalb die richtige Reaktion eigentlich wäre, hinter dem schwächeren Verkehrsteilnehmer, dem Radfahrer, herzufahren. Die Lösung? Ein Zweirad-Überholverbot, sagt Weinreich.
Ein ähnliches Szenario bietet sich Ortsausgang Richtung Gorxheimer Tal in der Mülheimer Talstraße.
Eine Umfrage aus 2021 und 2022 des ADFC Rhein-Neckar im Auftrag der Stadt Weinheim ergab, dass dieser Abschnitt für Schüler aus dem Müllheimer Tal und aus dem Gorxheimertal ein alternativloser Streckenabschnitt sei. Sicher sei er aber keineswegs - in den Augen des ADFC und einiger Eltern ein Skandal. Eine Anwohnerin, die die Verkehrssituation immer wieder beobachtet und dort selbst mit dem Rad unterwegs ist, würde sich eigentlich wünschen, dass auch ihre Kinder mit dem Rad zur Schule fahren. Allerdings hält sie dies nicht für sicher genug, weshalb sie vermutlich das „Eltern-Taxi" spielen werde.
Vor dem Zebrastreifen solle das Zweirad-Überholverbot beginnen, zeigt Weinreich. Hinter der Kurve könne es dann wieder aufgelöst werden. Besonders problematisch sei die Steigung des Verkehrsabschnitts, was das Überholen an dieser Stelle umso gefährlicher mache.
Wenn Radfahrer ohnehin nicht überholt werden dürfen, wenn der vorgeschriebene Sicherheitsabstand nicht gewahrt werden kann: wozu dann noch ein zusätzliches Schild? Der Weinheimer Rathaussprecher Thomas Fischer erklärt, das Schild sei überflüssig, da Radfahrer so oder so nicht überholt werden dürfen, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern innerorts und 2 Meter außerorts nicht eingehalten werden kann.
Wer diesen Abstand als Fahrer eines Kraftfahrzeuges nicht einhalten kann, fährt nach Straßenverkehrsordnung hinter dem Radfahrer- und fährt er noch so langsam.
Eine dreimonatige Studie der ADFC-Ortsgruppe Weinheim mit einem am Fahrrad montierten Abstandssensor zeige aber, dass Autofahrer in 62 Prozent der Fälle zu nah an Radfahrern vorbeifahren. 25 Prozent wahren dabei nicht einmal einen Abstand von einem Meter. „Der, der den Fehler macht, der Autofahrer, muss am Ende nicht ins Krankenhaus", beklagt Weinreich. Es reiche, dass der Fahrradfahrer sich durch das nahe Vorbeifahren erschrecke oder im falschen Moment etwas mit dem Lenker wackle, was gerade bei Abschnitten mit Steigung passiere. Das Zweirad-Überholverbot sei deshalb eine der Möglichkei-ten, ein Bewusstsein für die Verkehrssicherheit des Radfahrers zu schaffen und zum anderen eher als Hilfestellung und nicht als Schikane zu verstehen. „1,5 Meter sind im fahrenden Auto eben nicht unbedingt leicht einzuschätzen", sagt Weinreich.
Weitere Gefahren für Fußgänger
Ein Schild würde im Interesse aller Beteiligten verdeutlichen, dass das Überholen an dieser Stelle gar nicht erst in Erwägung gezogen werden sollte. Aktuell würden sich Radfahrer gezwungen sehen, auf den Gehweg auszuweichen, was ab dem Alter von zehn Jahren eigentlich nicht erlaubt ist und ein weiteres Gefahrenpotenzial für Fußgänger birgt.
Trotzdem soll es ein ausgeschildertes Zweirad-Überholverbot in Weinheim nach aktuellen Plänen nicht geben, was für Weinreich unter anderem am fehlenden politischen Willen liegt. Vonseiten der Stadt gebe es aber durchaus ein grundsätzliches Bewusstsein dafür, dass das Fahrrad ein wichtiger Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur sei, so Weinreich.
Stadtsprecher Thomas Fischer erklärt: „Seitens des Amts für Stadtentwicklung wurden Fahrradpiktogramme an konkreten Stellen vorgeschlagen, die ein wenig vom Fahrbahnrand abgesetzt markiertwerden sollen." Diese sollen auf die einspurigen Verkehrsteilnehmer aufmerksam machen und für deren Teilnahme am Verkehrsgeschehen sensibilisieren. Eine gute Idee, die aber noch nicht ausreicht, findet Weinreich. Wenn es um Fragen der Verkehrssicherheit geht, sei es durchaus gerechtfertigt, auch ohne flächendeckenden Konsens der Stadtbevölkerung ein Überholverbot ins Feld zu führen. „Das ist zumindest meine Meinung" , lächelt er.