Fahrradverkehr in Weinheim
„Uns kommt es auf ein Umdenken an“
Der Vorsitzende des ADFC Frank Weinreich spricht in einem Interview über die Situation der Radfahrer in Weinheim.
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Weinheimer Woche - 02. September 2020 - Nr. 36
(cs). Auf die Frage, ob er im Stadtverkehr Weinheims gerne Fahrrad fährt, antwortet Frank Weinreich diplomatisch: „Ich habe mich dran gewöhnt.“ Und schiebt dann nach: „Ich weiß, wann ich wo fahren kann – und wann nicht.“ Die Worte des Vorsitzenden des ADFC Weinheim sagen einiges aus über die Verkehrssituation für Fahrradfahrer in Weinheim.
Beim letzten Fahrradklimatest des ADFC schnitt Weinheim 2018 mit der Note 4 ab, Platz 187 von 311 in der Kategorie der 20.000 bis 50.000 Einwohner-Städte. Zwei Jahre zuvor war es die 4,1. Das eine Zehntel Verbesserung ist dem Fahrradvermietsystem nextbike geschuldet, erzählt Frank Weinreich. Die Note geht für ihn in Ordnung, wenn es um den Titel fahrradfreundliche Stadt geht.
Da gebe es ganz andere Städte, die besser aufgestellt seien. In der Weinheimer Kategorie hieß die Siegerstadt 2018 Baunatal, Note: 2,7. Ungerecht sein will Frank Weinreich aber nicht. Stadtverwaltung und Gemeinderat seien an dem Thema interessiert. „Auch das Bewusstsein, dass man etwas tun muss, ist da“, sagt er nicht zuletzt mit Verweis auf die Stelle des Fahrradbeauftragten im Bereich des städtischen Verkehrsplanungsamts.
Die Maßnahmen von neuen Abstellmöglichkeiten in der Stadt bis hin zum beschlossenen Radschnellweg nach Mannheim sieht er daher auch positiv. Gerade die Verkehrsführung des Radschnellwegs verheißt eine Verbesserung innerhalb des städtischen Verkehrs und geht Hand in Hand mit einem Fahrradverkehrskonzept. Vorausgesetzt, so Weinreich, der Radschnellweg wird mit all seinen Baumaßnahmen auch tatsächlich konsequent umgesetzt und ausgewiesen: „Sonst ist es Symbolpolitik. Ein Feigenblatt.“
Stückwerk statt Konzept
Trotz der Berücksichtigung des Fahrradverkehrs fehlt dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) in Weinheim dieses Konzept. „Uns kommt es auf ein Umdenken an“, beschreibt Weinreich den Ansatz des ADFC. Denn Weinheim, darin stimmt er mit der städtischen Klimaschutzmanagerin Ute Timmermann überein, war und ist eine Autostadt. Will man den Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer sicher und komfortabel gestalten, braucht es also dieses Umdenken. Ein Dreh- und Angelpunkt ist für den ADFC dabei der ruhende Verkehr. Der könnte zugunsten etwa von Fahrradstraßen ausgegliedert oder zumindest eingedämmt werden.
„Ruhender Verkehr durch parkende Autos an der Seite eines Fahrradschutzstreifens oder in Fahrradstraßen bedeuten Gefahr durch Ausparker oder sich öffnende Türen“, beschreibt es Weinreich. Was er meint, zeigt sich beispielhaft auf beiden Seiten der B3 in der Nordstadt. Der ausgewiesene Fahrradweg wird links flankiert vom laufenden Verkehr, rechts von parkenden Autos. Der Fahrradweg, der von Fahrradfahrern laut Straßenverkehrsordnung zu nutzen ist, hat zudem nicht die vorgeschriebene Breite von zwei Metern. „Da wird es mit einem Anhänger, in dem Kinder sitzen, schon eng.“
Unterfüttert wird Weinreichs Aussage von dem vorbeirollenden E-Bike der Post. Es passt gerade so auf den Fahrradstreifen – einen donnernden Lkw will man da nicht noch neben sich spüren. Überhaupt zeigt sich an den Fahrradstreifen an der B3 in der Nordstadt das Stückwerk, von dem Weinreich spricht: Stadteinwärts führt er vom Gehweg runter auf die Straße, wieder zurück und wieder runter. Stadtauswärts endet er irgendwann schlicht auf der Straße. Hier will die Stadt aber noch nachbessern, entsprechende Fortführungen sollen noch aufgebracht werden.
Lösungsideen
Das vom ADFC geforderte Umdenken heißt aber auch Prioritäten neu vergeben. Und damit auch Fläche. Hier sieht Frank Weinreich durchaus den Konflikt: „Will man dem Fahrradverkehr mehr Fläche geben, muss man dem Autoverkehr Fläche nehmen.“ Fläche heißt in diesem Zusammenhang auch Parkraum. Ein heikles Thema. „Da müssen wir dicke Bretter bohren“, weiß Weinreich.
Zugleich will er diesem Konflikt nicht zu viel Raum geben. Für den ADFC gibt es schließlich auch Lösungen des sowohl als auch. Verkehrsberuhigungen könnten eine solche Lösung sein. „Tempo 30 ist für den Fahrradverkehr ein wichtiger Faktor“, zeigt sich der Weinheimer ADFC-Vorsitzende überzeugt.
Oder die verstärkte Abtrennung des Fahrradstreifens auf breiten Gehwegen, die dann auch eine Fahrradspur bedienen. Gleichzeitig bringt Weinreich auch eher unpopuläre Überlegungen ins Spiel. Die autofreie Innenstadt etwa. Im Ausland gebe es viele Beispiele, in denen das gut funktioniere. Doch im Ausland, dem stimmt Frank Weinreich zu, gibt es auch oft eine andere Verkehrskultur. Ganz zu schweigen von den Komfortzonen des autoliebenden Deutschen. Doch die dürfte nicht überall die Priorität genießen. Das gilt auch für Argumente, die sich dem Fahrradverkehr entgegenstellten.
So dürfe im Zeitalter der E-Bikes die Topographie der Stadt nicht mehr als Gegenargument ins Feld geführt werden. „Zumal der größte Teil der Stadt in der Ebene liegt“, lässt Weinreich das nicht mehr gelten. Auch das Thema der Finanzen ist für ihn zu vernachlässigen. Es gebe Fördertöpfe, die aber kaum angetastet geschweige denn ausgeschöpft würden. „Geld ist da“, bilanziert er.
Fahrradklimatest 2020
Ob sich Weinheims Fahrradfreundlichkeit verbessert hat, können ab sofort wieder die Fahrradfahrer selbst beurteilen. Gestern startete der Fahrradklimatest 2020. Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2021 präsentiert werden. So lange will der ADFC aber nicht warten. Am 1. Oktober will der Club sein eigenes Fahrradkonzept für die Stadt vorstellen. „Wir wollen eine gerechte Mobilität“, betont Frank Weinreich das Ziel.
Quelle: Weinheimer Woche - 02. September 2020 - Nr. 36